ZEIT UND EWIGKEIT

Du fragst, was ist die Zeit? Und was die Ewigkeit?
Wo hebt sich Ewiges an und hebet auf die Zeit?

Die Zeit, sobald du sie aufhebst, ist aufgehoben,
wo dich das Ewige zu sich erhebt nach oben.

Die Zeit ist nicht, es ist allein die Ewigkeit,
die Ewigkeit allein ist ewig in der Zeit.

Sie ist das in der Zeit sich stets Gebärende,
als wahre Gegenwart die Zeit Durchwährende.

Wo die Vergangenheit und Zukunft ist geschwunden
in Gegenwart, da hast du Ewigkeit empfunden.

Wo du Vergangenheit und Zukunft hast empfunden
als Gegenwart, da ist die Ewigkeit gefunden.

Friedrich Rückert (1788 – 1866),

»Weltpoesie allein ist Weltversöhnung« – Friedrich Rückert war überzeugt:

Menschen können einander nur verstehen, wenn sie sich mit Literatur und Kultur des jeweils anderen auseinandersetzen. Den Sprachwissenschaftler und Dichter aus Franken faszinierte besonders der Orient.
Er übersetzte den Koran und das persische Nationalepos ›Schahname‹. In seinen eigenen Gedichten feierte Rückert die romantische Liebe, besang den Kampf für politische Freiheit und beklagte die Folgen der beginnenden Industrialisierung: Armut und Umweltzerstörung.

Quelle: Informationsschrift zur Ausstellung in Erlangen im November 2016 „Fremder Welten Klang“, zum 150. Todestag von Rückert.

Wo sich berühren Raum und Zeit

Wo sich berühren Raum und Zeit,
am Kreuzpunkt der Unendlichkeit,
ein Pünktchen im Vorüberschweben.
– Das ist der Stern, auf dem wir leben.

Wo kam das her, – wohin wird es gehn?
Was hier verlischt, wo wird es auferstehn?
– Ein Mann, ein Fels, ein Käfer, eine Lilie
sind Kinder einer einzigen Familie.

Das All ist eins. Was „gestern“ heißt und „morgen“,
ist nur das Heute, unserem Blick verborgen.
Ein Korn im Stundenglase der Äonen
ist diese Gegenwart, die wir bewohnen.

Dein Weltbild, Zwerg, wie du auch sinnst,
bleibt ein Phantom, ein Hirngespinst.
Dein „Ich“, das Glas, darin sich Schatten spiegeln,
das „Ding“ an sich, – ein Buch mit sieben Siegeln.

Wo sich berühren Raum und Zeit,
am Kreuzpunkt der Unendlichkeit. –
Wie Windeswehen in gemalten Bäumen
umrauscht uns diese Welt, die wir nur träumen.

Ein Gedicht von Mascha Kalèko.

Am Meer